Backmann, Reinhold (1884–1947): Unterschied zwischen den Versionen

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<div id="note-5">[[#back-5|↑]] (5) Ursprünglich hatte Sauer von 25, später von 30 Bänden gesprochen.
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<div id="note-6">[[#back-6↑]] (6) Vgl. ebda, S. X–XIII.
<div id="note-6">[[#back-6|↑]] (6) Vgl. ebda, S. X–XIII.


<div id="note-7">[[#back-7|↑]] (7) Sigurd Paul Scheichl: August Sauers Historisch-kritische Grillparzer-Ausgabe. In: Stefan Höhne (Hg.): August Sauer (1855–1926). Ein Intellektueller in Prag zwischen Kultur- und Wissenschaftspolitik. Berlin: de Gruyter 2010, S. 265–282.
<div id="note-7">[[#back-7|↑]] (7) Sigurd Paul Scheichl: August Sauers Historisch-kritische Grillparzer-Ausgabe. In: Stefan Höhne (Hg.): August Sauer (1855–1926). Ein Intellektueller in Prag zwischen Kultur- und Wissenschaftspolitik. Berlin: de Gruyter 2010, S. 265–282.

Version vom 18. November 2018, 10:42 Uhr

Reinhold Richard Julius Backmann (* 1. Dezember 1884 in Leipzig; † 4. März 1947 in Wien). Im Rahmen seiner Arbeit an der historisch-kritischen Ausgabe von Franz Grillparzer entwickelte Reinhold Backmann einen textgenetischen Ansatz, der in der neugermanistischen Edition bis heute einflussreich ist.

Explikation

Die Stellung Reinhold Backmann in der Geschichte der modernen Editionswissenschaft ist gefestigt. Als Konsens von Hans Zellers erster Würdigung aus dem Jahr 1958 bis hin zu seiner Erwähnung in Bodo Plachtas „Einführung in die Editionswissenschaft“ aus dem Jahr 1997 gilt, dass Backmann in einem Aufsatz in der Zeitschrift „Euphorion“ aus dem Jahr 1924 unter dem Titel „Die Gestaltung des Apparates in den kritischen Ausgaben neuerer deutscher Dichter“ die theoretischen Grundlagen einer umfassenden Berücksichtigung der Textgenese in neugermanistischen Editionen geschaffen hat, jedoch in der praktischen Umsetzung dieser Vorgaben in der von ihm mit herausgegebenen historisch-kritischen Grillparzer-Ausgabe spektakulär gescheitert ist.(1)
Die von Backmann in dem Aufsatz beschriebenen theoretischen und methodischen Grundsätze textgenetischen Edierens sind heute weithin anerkannt.(2) Im Wesentlichen umfassen sie die (zumindest) theoretische Trennung von absoluter und relativer Chronologie in der Anordnung der Entstehungshandschriften, die „Wiederherstellbarkeit der Manuskript|Handschriften für den Benutzer“ (die sich in heutigen Faksimile-Ausgaben quasi per se ergibt), und implizit auch die Forderung nach Vollständigkeit in der Darstellung der Lesarten und Varianten.

Organisches Textwachstum

Richtungsweisend war Backmanns Fokussierung auf den Entstehungsprozess nicht von rückwärts, nämlich vom fertigen Werk auf das frühere textgenetische Material, sondern umgekehrt in der Chronologie der Entstehung. Das Prinzip, eine organische Darstellung des organischen Textwachstums geben zu wollen, führte Backmann nun aber (und das ist das Neue der Grillparzer-Ausgabe ) inmitten eines Lesarten-Apparates ein, der sich als ein Gesamtverzeichnis aller Varianten verstand. So folgt in den Apparat-Bänden der Ausgabe die Einzelstellenstaffelung zwar den lokalen Korrekturprozessen in ihrer tatsächlichen Chronologie, es lösen sich darin aber die organischen Formationen einzelner Fassungen vollständig auf. Der im eigentlichen gegen diese Tendenz gerichtete und über weite Strecken auch textgenetisch argumentierende Herausgeberkommentar, den Backmann teilweise mitten in die Wiedergabe der Lesarten stellt, vermag daran nichts zu ändern, sondern erhöht die Unübersichtlichkeit des Ganzen.

Grillparzer-Ausgabe

Hauptherausgeber der Grillparzer-Ausgabe war der Prager Germanistikprofessor August Sauer. Im Vorwort zum ersten Band hielt er die sehr modern anmutenden Prinzipien fest: „Die Wiener Ausgabe soll Grillparzers Werke in möglichster Vollständigkeit und Reinheit auf Grund aller erreichbaren Drucke und Handschriften darbieten. Sie soll die Entwicklung des Dichters und jedes einzelnen seiner Werke in allen Einzelheiten überblicken lassen. Sie soll jedermann die Möglichkeit bieten, die Textgestalt selbständig nachzuprüfen, die Überlieferung zu studieren. Sie soll den Werken im engeren Sinn auch die Tagebücher, die Briefe und die verwandten Dokumente, womöglich auch die Briefe an den Dichter und die amtlichen Schriften von seiner Hand anreihen. Sie soll der gegenwärtigen Generation das Bild seiner gesamten Wirksamkeit in voller Deutlichkeit vor Augen stellen.“(3)
Wie umfassend gedacht dieser Ansatz war, zeigt die Tatsache, dass innerhalb der Ausgabe(4) ein Verzeichnis von Grillparzers Bibliothek samt Eintrag der Randnotizen in den Büchern erschien. Der Editionsplan(5) wurde mehrmals umgestellt und erweitert. Nach Einwänden des Verlags und Verlagswechseln wurde die Gesamtzahl der Bände zwischenzeitlich auch wieder reduziert. Schlussendlich erschien ein 42. und damit letzter Band der Ausgabe im Jahr 1948 (erst nach dem Tod Backmanns), ein angekündigter 43. Band mit Papieranalysen, „Inventarband“ genannt, wurde nicht mehr gedruckt.

Verhältnis zu August Sauer

Reinhold Backmann war in den ersten Jahren August Sauers einziger Mitarbeiter. Eine kleine Broschüre, die sich in einer Gesamtbibliografie von Sauers Grillparzer-Schriften gelistet findet(6), sich aber materiell in keiner Bibliothek und bislang auch nicht in den infrage kommenden Nachlassbeständen gefunden hat, lässt vermuten, dass Backmann von Beginn an auch in die konzeptionellen Planungsarbeiten der Ausgabe eingebunden war. Bei dieser Broschüre handelt es sich um eine im Prager Verlag Kopp-Bellmann vermutlich 1909 erschienene Schrift mit dem Titel „Grundsätze der Wiener Grillparzer-Ausgabe“, die nach den Angaben bei Sauer er gemeinsam mit Backmann verfasst haben soll.
Nach dem Tod des Prager Professors im Jahr 1926 übernahm Backmann, der keinerlei akademische Verankerung hatte, im Dezember 1929 die Gesamtherausgeberschaft der Ausgabe; bis dahin war jedoch noch kein einziger Apparatband erschienen. Die große zeitliche Differenz zwischen dem Erscheinen der Textbände und dem Erscheinen der Apparatbände hat wohl auch mit der spezifischen Arbeitsteilung zwischen Sauer und Backmann zu tun. An die Textbände wollte Sauer seinen Mitarbeiter nicht heranlassen (zumindest nicht, was eine Nennung im Titel betrifft), umgekehrt finden sich in den Apparatbänden oft recht schulmeisterliche Verbesserungen des Sauerschen Lesetextes in den Varianten. Das doch recht prekäre Verhältnis zwischen Sauer und Backmann hat Sigurd Paul Scheichl detailliert geschildert.(7)

Nazionalsozialismus

Als neuer Herausgeber der Grillparzer-Ausgabe war Reinhold Backmann vielfältigen äußeren Einflüssen ausgesetzt. Dass Backmann aus Deutschland stammte und es sich bei Grillparzer um einen kanonisierten österreichischen Klassiker handelte, machte seine Aufgabe in Wien nicht leichter. Die Reibungspunkte für Backmann waren vielfältig: die Grillparzer-Gesellschaft in Wien, die nicht von Intrigen frei war; die Stadt Wien als Finanzier; die Hochschulgermanistik, die den Autodidakten nicht ernst nahm und nicht zuletzt die Handschriftensammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek, in der die Ordnung und Katalogisierung des Grillparzer-Nachlasses durch Versäumnis und/oder mangelnde Kooperation der Herausgeber der historisch-kritischen Ausgabe erst im Jahr 1930 abgeschlossen wurde.

Seit den 1930er Jahren war der Studienrat aus dem sächsischen Plauen, der sich für seine Grillparzer-Arbeiten immer wieder vom Schuldienst beurlauben ließ, unmittelbar von deutschen Forschungsgeldern und Stipendien abhängig. In einem Vortrag(8) lässt Backmann über seine Gesinnung keinen Zweifel. In der Ansprache – sie nennt sich „Der Kampf um das endgültige Grillparzer-Bild“ beginnt – schlägt er eine Verlegung des Grillparzer-Denkmals aus dem Wiener Volksgarten (wo die Skulptur Grillparzers bis heute auf das Wiener Burgtheater blickt) hinauf auf den oberen Hang des Kahlenbergs vor, von wo aus der Dichter dann ein unverstelltes Blickfeld hätte. Auch wenn es bei Backmann nicht wörtlich zu lesen ist, macht er in seiner Ansprache klar, wohin sein und Grillparzers Blick sich jetzt richten. Heim ins Reich einer großdeutschen Dichtung.
In den umfangreichen Materialbeständen, die es zu Reinhold Backmann in der Handschriftensammlung der österreichischen Nationalbibliothek und der Wienbibliothek gibt, lassen sich für seinen geistigen Hintergrund noch zahlreiche andere Quellen finden. Beispielsweise ein Schreiben an den Propagandaminister Joseph Goebbels, in dem Backmann für sich und die Grillparzer-Ausgabe wirbt. Auch an Adolf Hitler persönlich dürfte Backmann sich (wahrscheinlich mit einem Widmungsexemplar des obigen Aufsatzes) gewandt haben, zumindest verzeichnet die Privatkanzlei des Führers den Eingang eines entsprechenden Schreibens am 17.6.1938.(9)

Literatur

  • Backmann, Reinhold, Die Gestaltung des Apparates in den kritischen Ausgaben neuerer deutscher Dichter. Mit besonderer Berücksichtigung der großen Grillparzer-Ausgabe der Stadt Wien, in: Euphorion 1924; wiederabgedruckt in: Rüdiger Nutt-Kofoth (Hg.), Dokumente zur Geschichte der neugermanistischen Edition [= Bausteine zur Geschichte der Edition, hg. von Rüdiger Nutt-Kofoth/Bodo Plachta, Bd. 1], Tübingen: Max Niemeyer 2005, S. 194–214, S. 196.
  • Backmann, Reinhold, Der Kampf um das endgültige Grillparzer-Bild beginnt. Eine Ansprache (= Schriften des Pädagogischen Institutes der Stadt Wien, Heft 16), Wien: Deutscher Verlag für Jugend und Volk 1938.
  • Kastberger, Klaus, Reinhold Backmann, „Zur Fertigstellung der Grillparzer-Ausgabe im Dienst belassen“,. iIn: Roland S. Kamzelak, Rüdiger Nutt-Kofoth, Bodo Plachta (Hg.), : Neugermanistische Editoren im Wissenschaftskontext, Berlin: de Gruyter 2011, S. 167–180.
  • Scheichl, Sigurd Paul, August Sauers Historisch-kritische Grillparzer-Ausgabe, in: Stefan Höhne (Hg.), August Sauer (1855-1926). Ein Intellektueller in Prag zwischen Kultur- und Wissenschaftspolitik, Berlin: de Gruyter 2010, S. 265-282.


Referenzen

(1) Vgl. Hans Zeller, Zur gegenwärtigen Aufgabe der Editionswissenschaft. Ein Versuch, komplizierte Handschriften darzustellen [1958], in: Rüdiger Nutt-Kofoth (Hg.), Dokumente zur Geschichte der neugermanistischen Edition [= Bausteine zur Geschichte der Edition, hg. von Rüdiger Nutt-Kofoth/Bodo Plachta, Bd. 1], Tübingen: Max Niemeyer 2005, S. 194–214, S. 196; Bodo Plachta, Editionswissenschaft. Eine Einführung in Methode und Praxis der Edition neuerer Texte, Stuttgart: Reclam 1997, S. 31f.; wiederabgedruckt findet sich Backmanns Aufsatz in: Rüdiger Nutt-Kofoth, ebda, S. 115–137
(2) Eine Würdigung im kulturwissenschaftlichen Rahmen erfährt Backmanns Ansatz, mit dem der „Psychologismus der Jahrhundertwende“ vom Kopf auf editionswissenschaftliche „Hände“ gestellt werde, in: Christoph Hoffmann, Schreibmaschinengebärde. Über „typographologische“ Komplikationen, in: Davide Giuriato/Martin Stingelin/Sandro Zanetti (Hg.), „Schreibkugel ist ein Ding gleich mir: von Eisen“. Schreibszenen im Zeitalter der Typoskripte (= Zur Genealogie des Schreibens, Band 2), München: Wilhelm Fink 2005, S. 153–168, S. 156f.
(3) August Sauer, Zur Einführung [in die Wiener Ausgabe], in: August Sauer, Franz Grillparzer (= Ders., Gesammelte Schriften, Band II), Stuttgart: J. B.Metzlersche Verlagsbuchhandlung 1941, S. 104.
(4) Gedacht als Band 12 der Abteilung II im Jahr 1930.
(5) Ursprünglich hatte Sauer von 25, später von 30 Bänden gesprochen.
(6) Vgl. ebda, S. X–XIII.
(7) Sigurd Paul Scheichl: August Sauers Historisch-kritische Grillparzer-Ausgabe. In: Stefan Höhne (Hg.): August Sauer (1855–1926). Ein Intellektueller in Prag zwischen Kultur- und Wissenschaftspolitik. Berlin: de Gruyter 2010, S. 265–282.
(8) Abgedruckt wurde dieser Vortrag – eine Ironie der Geschichte – in der Schriftenreihe des Pädagogischen Instituts der Stadt Wien, und zwar im letzten Heft der Reihe, das nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich erscheinen konnte.
(9) Vgl. dazu Klaus Kastberger, Reinhold Backmann: „Zur Fertigstellung der Grillparzer-Ausgabe im Dienst belassen“, in: Roland S. Kamzelak, Rüdiger Nutt-Kofoth, Bodo Plachta (Hg.), Neugermanistische Editoren im Wissenschaftskontext, Berlin: de Gruyter 2001, S. 167–180; siehe auch Max Kaiser, Reinhold Backmann, in: Christoph König (Hg.), Internationales Germanistenlexikon 1800–1950, Band 1: A–G, Berlin und New York: Walter de Gruyter 2003, S. 65f., S. 66.

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