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Zensur ist die Kontrolle jeglicher Form von Meinungsäußerungen. Sie prüft, beurteilt und handelt nach festgelegten Strukturen und orientiert sich an Normen und Regeln. Als Kommunikationskontrolle versucht Zensur, Verstöße gegen religiöse, moralische und politische Normen aufzudecken, die z. B. als Gotteslästerung, Verleumdung, Sittenlosigkeit, Hochverrat, Häresie oder Obszönität in Erscheinung treten. | |||
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Obwohl geregelte Prüf- und Verbotsverfahren erst seit dem späten Mittelalter bzw. seit der Erfindung des [[Buchdruck|Buchdrucks]] institutionalisiert und damit sichtbar werden, lassen sich schon in antiken Kulturen Zensurpraktiken rekonstruieren (z. B. Entfernung von Inschriften, Vernichtung von Textträgern, Verfolgung von [[Autor|Autoren]]). Derartige Verfahren sind im weitesten Sinne immer auch Verwaltungs- und Polizeiakte, die nicht nur festgelegten Abläufen – etwa als Vor- oder Nachzensur – folgen, sondern auch das zu prüfende Material nach bestimmten Kriterien und Merkmalen ordnen. Dabei werden Medien, von denen man eine weitreichende öffentliche und soziale Wirkung annimmt (z. B. Zeitschriften, Theater- oder Filmaufführungen) einer besonderen Kontrolle unterworfen. Indizierte Bücher werden in Listen erfasst, um deren Distribution zu unterbinden und deren Lektüre als ''gefährlich'' zu markieren. Zensur kontrolliert und sanktioniert zwar in erster Linie nach inhaltlichen Kriterien, orientiert sich im Verlauf der Zensurgeschichte aber immer stärker auch am medialen Charakter ihrer Objekte. | |||
== Forschungsbericht== | |||
Die [[Editionswissenschaft]] hat sich mit dem Problem der Zensur über die Diskussion von Einzelfällen hinaus bislang nicht systematisch befasst, obwohl die von Reinhard Aulich vorgeschlagenen Untersuchungsbereiche – Zensur als Kontrolle der [[Textgenese|Genese]] literarischer Produktion, Zensur als Kontrolle der literarischen Distribution, Zensur als Kontrolle der literarischen Diffusion – auch aus editorischer Perspektive sinnvoll sein könnten. Das Fehlen einer spezifisch editorischen Diskussion über die Zensur hängt sicherlich damit zusammen, dass für viele [[Autor|Autoren]] die zensurbedingten [[Textgenese|Textgenesen]] überhaupt nicht oder nur unzureichend erschlossen sind, zumal nicht immer eindeutig zu entscheiden sein dürfte, ob [[Änderung|Textveränderungen]] auf ein tatsächlich zensurierendes Einschreiten zurückgehen oder ob sie vielmehr durch die bloße Zensurandrohung ausgelöst wurden. Zudem ist es nur ansatzweise zu einer grundsätzlichen Reflexion darüber gekommen, wie mit zensierten [[Text|Texten]] bzw. mit [[Fassung|Textfassungen]] umzugehen ist und wie Zensurphänomene zu dokumentieren sind. Darüber hinaus darf keineswegs vergessen werden, dass eine wie auch immer geartete Dokumentation von Textmanipulationen auch ein Licht auf die Umstände wirft, unter denen eine [[Edition]] zustande kommt. Die beiden historisch-kritischen Heine-Ausgaben (Düsseldorfer Heine-Ausgabe, Heine-Säkularausgabe) etwa zeigen besonders deutlich im Umgang mit zensierten Texten, welche kultur- und wissenschaftspolitischen Erwägungen auf die editorische Textgestaltung einwirkten und welchem gesellschaftlichen Verständnis ein [[Editor]] verpflichtet war. | |||
In der Geschichte der Zensur hat es überdies eine Vielzahl von Fällen gegeben, in denen [[Edition|Editionen]] nicht nur die Druckerlaubnis verweigert oder sie im Nachhinein verboten wurden. Auch Versuche, konkret Einfluss auf den Inhalt von [[Edition|Editionen]] zu nehmen, sind bekannt. Das Verbot von Lessings Edition der Reimarus-Fragmente, die Aussonderung von Texten, die als erotisch und damit als moralisch anstößig galten, aus der Weimarer Goethe-Ausgabe, die Eingriffe in die Schiller-Nationalausgabe und die Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe durch die nationalsozialistische Kulturpolitik oder die Verfolgung des Jean Paul-Editors [[Berend, Eduard (1883-1973)|Eduard Berend]] durch das NS-Regime sind sprechende Beispiele für das oftmals prekäre Verhältnis von Zensur und [[Edition]]. | |||
* | == Literatur == | ||
* Aulich, Reinhard, Elemente einer funktionalen Differenzierung der literarischen Zensur, in: „Unmoralisch an sich…“. Zensur im 18. und 19. Jahrhundert, hg. von Herbert G. Göpfert und Erdmann Weyrauch, Wiesbaden 1988, S. 177-230. | |||
* Plachta, Bodo, Die Politisch-Herrschenden und ihre Furcht vor Editionen, in: Die Funktion von Editionen in Wissenschaft und Gesellschaft. Ringvorlesung des Studiengebiets Editionswissenschaft an der Freien Universität Berlin, hg. von Hans-Gert Roloff, Berlin 1998, S. 303-342. | |||
* Plachta, Bodo, Zensur und Textgenese, in: editio 13 (1999), S. 35-52. | |||
* Plachta, Bodo, Zensur, Stuttgart 2006. | |||
<p align="right">[[Plachta, Bodo|pab]]</p> |
Aktuelle Version vom 11. Juni 2017, 09:51 Uhr
Zensur ist die Kontrolle jeglicher Form von Meinungsäußerungen. Sie prüft, beurteilt und handelt nach festgelegten Strukturen und orientiert sich an Normen und Regeln. Als Kommunikationskontrolle versucht Zensur, Verstöße gegen religiöse, moralische und politische Normen aufzudecken, die z. B. als Gotteslästerung, Verleumdung, Sittenlosigkeit, Hochverrat, Häresie oder Obszönität in Erscheinung treten.
Explikation
Obwohl geregelte Prüf- und Verbotsverfahren erst seit dem späten Mittelalter bzw. seit der Erfindung des Buchdrucks institutionalisiert und damit sichtbar werden, lassen sich schon in antiken Kulturen Zensurpraktiken rekonstruieren (z. B. Entfernung von Inschriften, Vernichtung von Textträgern, Verfolgung von Autoren). Derartige Verfahren sind im weitesten Sinne immer auch Verwaltungs- und Polizeiakte, die nicht nur festgelegten Abläufen – etwa als Vor- oder Nachzensur – folgen, sondern auch das zu prüfende Material nach bestimmten Kriterien und Merkmalen ordnen. Dabei werden Medien, von denen man eine weitreichende öffentliche und soziale Wirkung annimmt (z. B. Zeitschriften, Theater- oder Filmaufführungen) einer besonderen Kontrolle unterworfen. Indizierte Bücher werden in Listen erfasst, um deren Distribution zu unterbinden und deren Lektüre als gefährlich zu markieren. Zensur kontrolliert und sanktioniert zwar in erster Linie nach inhaltlichen Kriterien, orientiert sich im Verlauf der Zensurgeschichte aber immer stärker auch am medialen Charakter ihrer Objekte.
Forschungsbericht
Die Editionswissenschaft hat sich mit dem Problem der Zensur über die Diskussion von Einzelfällen hinaus bislang nicht systematisch befasst, obwohl die von Reinhard Aulich vorgeschlagenen Untersuchungsbereiche – Zensur als Kontrolle der Genese literarischer Produktion, Zensur als Kontrolle der literarischen Distribution, Zensur als Kontrolle der literarischen Diffusion – auch aus editorischer Perspektive sinnvoll sein könnten. Das Fehlen einer spezifisch editorischen Diskussion über die Zensur hängt sicherlich damit zusammen, dass für viele Autoren die zensurbedingten Textgenesen überhaupt nicht oder nur unzureichend erschlossen sind, zumal nicht immer eindeutig zu entscheiden sein dürfte, ob Textveränderungen auf ein tatsächlich zensurierendes Einschreiten zurückgehen oder ob sie vielmehr durch die bloße Zensurandrohung ausgelöst wurden. Zudem ist es nur ansatzweise zu einer grundsätzlichen Reflexion darüber gekommen, wie mit zensierten Texten bzw. mit Textfassungen umzugehen ist und wie Zensurphänomene zu dokumentieren sind. Darüber hinaus darf keineswegs vergessen werden, dass eine wie auch immer geartete Dokumentation von Textmanipulationen auch ein Licht auf die Umstände wirft, unter denen eine Edition zustande kommt. Die beiden historisch-kritischen Heine-Ausgaben (Düsseldorfer Heine-Ausgabe, Heine-Säkularausgabe) etwa zeigen besonders deutlich im Umgang mit zensierten Texten, welche kultur- und wissenschaftspolitischen Erwägungen auf die editorische Textgestaltung einwirkten und welchem gesellschaftlichen Verständnis ein Editor verpflichtet war.
In der Geschichte der Zensur hat es überdies eine Vielzahl von Fällen gegeben, in denen Editionen nicht nur die Druckerlaubnis verweigert oder sie im Nachhinein verboten wurden. Auch Versuche, konkret Einfluss auf den Inhalt von Editionen zu nehmen, sind bekannt. Das Verbot von Lessings Edition der Reimarus-Fragmente, die Aussonderung von Texten, die als erotisch und damit als moralisch anstößig galten, aus der Weimarer Goethe-Ausgabe, die Eingriffe in die Schiller-Nationalausgabe und die Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe durch die nationalsozialistische Kulturpolitik oder die Verfolgung des Jean Paul-Editors Eduard Berend durch das NS-Regime sind sprechende Beispiele für das oftmals prekäre Verhältnis von Zensur und Edition.
Literatur
- Aulich, Reinhard, Elemente einer funktionalen Differenzierung der literarischen Zensur, in: „Unmoralisch an sich…“. Zensur im 18. und 19. Jahrhundert, hg. von Herbert G. Göpfert und Erdmann Weyrauch, Wiesbaden 1988, S. 177-230.
- Plachta, Bodo, Die Politisch-Herrschenden und ihre Furcht vor Editionen, in: Die Funktion von Editionen in Wissenschaft und Gesellschaft. Ringvorlesung des Studiengebiets Editionswissenschaft an der Freien Universität Berlin, hg. von Hans-Gert Roloff, Berlin 1998, S. 303-342.
- Plachta, Bodo, Zensur und Textgenese, in: editio 13 (1999), S. 35-52.
- Plachta, Bodo, Zensur, Stuttgart 2006.