Lange vor Beginn der Jean-Paul-Ausgabe hatte
Berend sich bereits einen Namen als bedeutender Jean-Paul-Experte gemacht. Nachdem er, am 5.12.1883 in Hannover geboren und aus assimiliertem jüdischen Elternhaus stammend,
(27) bei dem Lessing-Miteditor Franz Muncker studiert hatte, war er im Rahmen seiner Dissertation zu „Jean Pauls Verhältnis zu den literarischen Parteien seiner Zeit“ schon 1907 mit einer Studie zu Jean Paul in Erscheinung getreten (1909 unter dem Titel „Jean Pauls Ästhetik“ publiziert) und hatte erste editorische Erfahrungen als Herausgeber einer 1908 erschienenen sechsbändigen Tieck-Edition gesammelt. Mit der
Edition von Jean Pauls „Vorschule der Ästhetik“ wurde er 1910 erstmals als Jean-Paul-Herausgeber bekannt. Aus der gemeinsam mit Karl Freye unternommenen Sichtung des gewaltigen Jean-Paul-Nachlasses in der Staatsbibliothek zu Berlin ging die 1913 erstpublizierte Sammlung „Jean Pauls Persönlichkeit. Zeitgenössische Berichte“ hervor. Schon 1914 unterbreitete
Berend, mit Unterstützung vor allem von Julius Petersen, der später sein langjähriger Fürsprecher bei der Akademie werden sollte, der Preußischen Akademie der Wissenschaften einen ersten Plan zu einer Jean-Paul-Gesamtausgabe, dessen Umsetzung aber vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs vereitelt wurde. Nach Ende des Kriegs, in dem
Berend Frontkämpfer war, edierte
Berend zunächst Jean Pauls Briefe in einer eigenen Ausgabe; zudem erschien 1925 seine „Jean-Paul-Biographie“.
Berend war also ein umfassend erfahrener Fachmann, als er 1927 seine „Prolegomena zur historisch-kritischen Gesamtausgabe von Jean Pauls Werken“ vorlegte.
Berend beschrieb hier nicht nur seine Editionsprinzipien, sondern berichtete auch über die Vorgeschichte der
Ausgabe und die vorausgegangene Fachdiskussion, über die überlieferten
Ausgaben und Jean Pauls Pläne zu einer
Gesamtausgabe sowie über den Charakter der Jean-Paul-Handschriften (einschließlich einer Darstellung von Jean Pauls eigenwilliger
Orthografie). Trotz seiner in Fachkreisen unbestrittenen Kompetenz als Philologe scheiterten drei Habilitationsversuche (in Tübingen, Frankfurt und Freiburg) aufgrund hochschulintern begründeter Zurückweisungen, mutmaßlich auch aufgrund von Diskriminierung. Unter persönlicher Entbehrung und zunehmender Lebensgefahr hielt
Berend, seinem Ethos entsprechend, bis zu seiner Verhaftung an der Fortführung seiner Jean-Paul-Edition fest (auf deren Titelblättern er ab 1934 nicht mehr als Herausgeber sichtbar werden durfte). An der Akademie schützte Petersen
Berend, bis
Berend 1938 entlassen und im November für einige Wochen nach Sachsenhausen deportiert wurde. Während seines ab Ende 1939 bestehenden Schweizer Exils setzte
Berend, der 1941 enteignet wurde, unter äußerst einfachen Lebensbedingungen und ohne Arbeitserlaubnis seine Jean-Paul-Briefedition (Abteilung III) privat fort und konnte die Arbeit an der
Gesamtausgabe erst 1948 im Auftrag der neugegründeten Deutschen Akademie der Wissenschaften offiziell wiederaufnehmen. 1957 kehrte er auf Einladung des Deutschen Literaturarchivs Marbach nach Deutschland zurück und arbeitete in Marbach, wo bis heute
Berends Nachlass und sein Jean-Paul-Archiv verwahrt werden.
(28) Berend, der in der Bundesrepublik eine Reihe von Ehrungen erhielt (u. a. das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse und einen Professorentitel des Landes Baden-Württemberg), starb am 23.9.1973 in Ludwigsburg.
Berends Lebenswerk einer historisch-kritischen Jean-Paul-Ausgabe blieb unvollständig, erstens, da eine Gesamtausgabe aufgrund der Textfülle von ihm (und seinen wenigen Mitstreitern) nicht zu leisten war, zweitens aber, da er als deutscher Jude von den Nationalsozialisten verfolgt wurde. Die von ihm in einem jahrelangen Prozess dokumentierten Varianten, die in eigenen Lesartenbänden erscheinen sollten, gingen größtenteils verloren. Den Jean-Paul-Lesern ist Berends Ausgabe insbesondere über die von Norbert Miller herausgegebene, vielfach zitierte Studienausgabe(29) bekannt, die sich im Wesentlichen auf Berends Textkonstitution stützt und Berends Erläuterungen ergänzt und erweitert. Heute wird im Rahmen einer neuen, textgenetisch orientierten historisch-kritischen Ausgabe weiter an der Edition von Jean Pauls Werken gearbeitet.(30) Darüber hinaus wurde Berends Abteilung II „Nachlaß“ nach seinem Tod von verschiedenen Bandbearbeitern weitergeführt und seiner Abteilung III „Briefe“ eine Abteilung IV „Briefe an Jean Paul“ hinzugefügt.(31)
Literatur
- Berend, Eduard, Prolegomena zur historisch-kritischen Gesamtausgabe von Jean Pauls Werken. Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin: Verlag der Akademie 1927.
- Lexikon deutsch-jüdischer Autoren, hg. v. Archiv Bibliographia Judaica e. V., Band 2. Redaktionelle Leitung: Renate Heuer unter Mitarbeit von Andrea Boelke u. a., München/New Providence/London/Paris: K. G. Saur 1993, S. 124-136.
- Knickmann, Hanne, Der Jean-Paul-Forscher Eduard Berend (1883-1973). Ein Beitrag zur Geschichte der Germanistik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Teil 1, in: Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft 29 (1994), S. 7-91; Teil 2, in: Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft 30 (1995), S. 7-104.
- Knickmann, Hanne, Eduard Berend (1883-1973), in: Wissenschaftsgeschichte der Germanistik in Porträts, hg. v. Christoph König, Hans-Harald Müller und Werner Röcke, Berlin/New York: de Gruyter 2000, S. 176-179.
- Knickmann, Hanne, Eduard Berend, in: Internationales Germanistenlexikon (1800-1950), hg. v. Christoph König, Berlin/New York: de Gruyter 2003, S. 140-142.
Referenzen
↑ (1) Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Begründet und herausgegeben von Eduard Berend. (Unter der Hauptherausgeberschaft zunächst der Preußischen Akademie der Wissenschaften, später der Deutschen Akademie der Wissenschaften.) Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger 1927ff. (ab 1952 Erscheinungsort: Berlin). (Ganz zu Beginn mitunterstützt von der Jean-Paul-Gesellschaft.)
↑ (2) Vgl. Hanne Knickmann, Der Jean-Paul-Forscher Eduard Berend (1883-1973). Ein Beitrag zur Geschichte der Germanistik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Teil 1, in: Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft 29 (1994), S. 7-91, hier S. 76f.
↑ (3) Eduard Berend, Prolegomena zur historisch-kritischen Gesamtausgabe von Jean Pauls Werken. Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin: Verlag der Akademie 1927, S. 1.
↑ (4) Ebd.
↑ (5) Ebd.
↑ (6) Ebd. S. 43.
↑ (7) Vgl. ebd. und passim.
↑ (8) Vgl. ebd. S. 27f.
↑ (9) Vgl. ebd. S. 38.
↑ (10) Vgl. ebd. S. 34.
↑ (11) Ebd. S. 15.
↑ (12) Eine genaue Analyse von Berends wissenschaftsgeschichtlichem Horizont bieten die Untersuchungen von Hanne Knickmann, vgl. die Angaben im Literaturverzeichnis.
↑ (13) Vgl. Berend, Prolegomena, S. 14ff.
↑ (14) Vgl. ebd. S. 16, 21.
↑ (15) Ebd. S. 23, vgl. außerdem ebd. S. 20f.
↑ (16) Vgl. ebd. S. 24.
↑ (17) Vgl. ebd. S. 16, 18ff.
↑ (18) Berends Interesse für die Werkgeschichte ist vielfach bemerkbar, etwa auch in der Äußerung, wollte man die „künstlerische Entwicklung des Dichters rein vor[]führen, dann müssten notwendig die Werke in ihrer ersten Fassung gegeben werden“. Ebd. S.15.
↑ (19) Vgl. ebd. S. 41.
↑ (20) Vgl. ebd. S. 30.
↑ (21) Vgl. ebd. S 28.
↑ (22) Vgl. ebd. S. 41.
↑ (23) Ebd.
↑ (24) Vgl. ebd. S. 42.
↑ (25) Ebd. S. 43.
↑ (26) Vgl. Hanne Knickmann, Der Jean-Paul-Forscher Eduard Berend (1883-1973). Ein Beitrag zur Geschichte der Germanistik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Teil 1; Teil 2, in: Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft 30 (1995), S. 7-104; Dies., Eduard Berend (1883-1973), in: Wissenschaftsgeschichte der Germanistik in Porträts, hg. v. Christoph König, Hans-Harald Müller und Werner Röcke, Berlin/New York: de Gruyter 2000, S. 176-179; Dies., Eduard Berend, in: Internationales Germanistenlexikon (1800-1950), hg. v. Christoph König. Berlin/New York: de Gruyter 2003, S. 140-142.
↑ (27) Zu Berends Biografie vgl. die drei bereits genannten Publikationen von Hanne Knickmann sowie das Lexikon deutsch-jüdischer Autoren, hg. v. Archiv Bibliographia Judaica e. V., Band 2. Redaktionelle Leitung: Renate Heuer unter Mitarbeit von Andrea Boelke u. a., München/New Providence/London/Paris: K. G. Saur 1993, S. 124-136.
↑ (28) Vgl. https.//www.dla-marbach.de/
↑ (29) Jean Paul, Sämtliche Werke. 10 Bände. 1. Abteilung, hg. v. Norbert Miller; Abteilung II, hg. v. Norbert Miller und (mit Ausnahme des Bandes 3) Wilhelm Schmidt-Biggemann, München: Carl Hanser Verlag 1959ff.
↑ (30) Jean Paul, Werke. Historisch-kritische Ausgabe, hg. v. Helmut Pfotenhauer und Barbara Hunfeld, Berlin: de Gruyter 2009ff. (Zunächst bei Niemeyer, dann bei de Gruyter)
↑ (31) Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Begründet und herausgegeben von Eduard Berend. Abteilung IV: Briefe an Jean Paul, hg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Christian Begemann, Markus Bernauer und Norbert Miller. Berlin: Akademie Verlag (ab Bd. 8 de Gruyter) 2003ff.
hdb